Zeitlos

2022-03-25T19:30:58+00:00 25 Mrz, 2022|# in the middle of nowhere, 2022, Kanarische Inseln|

Zerfallene Mauren, rostige Tanks, runtergefallene Balken, angefressene Betonmauern, schwarze Lavasteine, rumliegenden Konserven, trockene Palmen, erodierende Felswände. Der Ziehbrunnen seit Jahren praktisch versiegt; der Klimawandel ist selbst hier zu spüren. Doch da steht ihr Zelt. Schon seit vierzehn Jahren lebt Claudine hier.

Die Szenerie ist atemberaubend, rot getunkte Felswände erheben sich steil aus den Fluten. Weit oben liegt das flache Land, hier unten bleibt nur wenig Platz zum Verweilen. Morgens ist es etwas schattig, was gut ist, und abends versinkt die Sonne dramatisch im Meer. Ein steiniger, schwarzer Strand, eine kleine, glitschige Mole, die Reste einer industriellen Nutzung deren gute Zeiten lange zurück liegen. Die Fischfabrik «La Cantera» auf der Insel La Gomera (Kanarische Inseln) wurde 1860 vom italienischen Industriellen Angelo Parodi gebaut um den Tunfisch in die hier vor Ort fabrizierten Blechkonserven zu verpacken. Nur kurz blieb die Ware auf der Insel. Eine landseitig beinahe unzugängliche Ubikation erforderte die Verschiffung zu den nahen und fernen Märkten. Das Finanzamt und der Umsatzsteuersatz waren glücklicherweise noch unbekannt. So mutierte der „Caviar Gomero” schnell zum echten Verkaufsschlager.

Vor der Cantera ausgebreitet liegt also der Atlantik; weit, unendlich und alles versprechend in dieser kleinen Welt der Fischdosen. Die Wellen donnern wie eh und je auf den Strand, bei Sturm kommen sie rauf bis zu den ersten Mauern. Ein natürliches Amphitheater, majestätisch, würdevoll, wenn auch schon etwas verlottert. Doch das steigert bloss den Charme dieses abgelegenen, vergessenen Ortes.

Draussen baumelt eine Yacht vor Anker. Eine Dufour natürlich, doch 43 Fuss lang, denn die TUVALU steht noch immer einsam in Malaysia vor sich hin. Doch hier und jetzt findet sich ein neues Segelrevier, welches mich oft an die Marquesas erinnert, obwohl es doch «zu Hause» in Spanien liegt. Unterwegs bin ich mit zwei Architektenkollegen – Boris aus Valencia und Xavi aus Tenerife – die auch schon segelnd mit uns unterwegs waren. Der Kapitän wie gehabt, dazu das lokale Wissen von Xavi und die exzellente Küche von Boris; es lebt sich nicht schlecht. Subtropische Müslis mit Kiwis und Bananen aus La Palma, wo wir gerade hergesegelt kommen, frisch von Xavi harpunierter Fisch auf dem Grill. Eine perfekte Szenerie und harmonisches Feeling also an Board.

Die in der Cantera zeltende Claudine ihrerseits beginnt den Morgen mit Meditation und Yoga. Lange, etwas zerzauste Haare, kontrollierter Hippie – Style, «amore» steht auf Ihrem T-Shirt. «So so», denkt Xavi. Damit bleibt sie fit und hält das Ying und das Yang im Gleichgewicht. Gelassen erklärt sie uns, dass die Steine der Fabrik langsam wieder der Natur zurückgegeben werden sollen. Renovieren, das Festigen des brillanten industriellen Erbes interessiert sie nicht. Alles soll wieder ins Gleichgewicht kommen. Der natürliche Lauf der Dinge, selbst wenn sie ganz offiziell hier lebt, wie das an der Türe angeschlagene Schriftstück zertifiziert. Der Mensch ist vergänglich, und so auch sein architektonisches Erbe. Mensch, fühl ich mich doof als Architekt. Vielleicht ist es dieser alles durchflutendende Geist der Vulkaninseln, welche zudem durch die wiederkehrenden Ausbrüche immer mal wieder ihre Physionomie ändern.

Auf seiner ersten Reise bestieg Alexander von Humboldt 1799 den 3.715 Meter hohen Vulkan Teide auf Teneriffa. Nach der Veröffentlichung seiner Beobachtungen Jahre später rationalisierte die aufgeklärte Welt die Wahrnehmung der geologischen Zeit und begann, die Unbedeutsamkeit der menschlichen Rasse zur Kenntnis zu nehmen. Doch als vor einigen Wochen der Vulkan auf La Palma wieder einmal Feuer und Lava spuckte, interessierten sich die Anwohner wohl kaum für die Theorien eines wirren Deutschen, sondern eher für ihr unter Lava begrabenes Haus, die zerstörte Bananenplantage, die giftigen Gase.

Zweifellos hat Claudine mit ihrem meditativen Yin und Yang Recht, Humboldt selbstredend mit seiner Theorie vom unvorstellbaren Fluss der Zeit. Gomera ist wunderschön und die TUVALU liegt noch immer in Malaysia.

2 Comments

  1. Martin&Lupita Montag, der 28. Mrz 2022 um 10:50 Uhr - Antworten

    Impresionante escenario! Un gustazo volver a leerlos aunque no sea acerca del TUVALU saludos amigos!! *Futuro Dos*

  2. Patricia Tamayo Montag, der 28. Mrz 2022 um 16:02 Uhr - Antworten

    Me alegro mucho Hans! espero verte antes de zarpar para Malasia, un abrazo fuerte!

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