Mit meinen Gedanken bin ich im fesselnden Buch «Die Erfindung des Countdowns» versunken, schaue träge kurz auf. Augenblicklich springt mein Puls auf 180 und mein Herz fällt in die Hosen. Zwinkere für eine Millisekunde mit meinen Augen. Nein. Da sind sie wirklich! Keine Fata Morgana! This is real. Kaum hundert Meter hinter unserem Heck brausen drei offene Motorboote auf uns zu. Genauso wie das stets beschrieben wurde. Auf jedem dieser superpotenten Motorboote steht im Bug hinter einem allseitig drehbaren Maschinengewehr ein abgebrühter Typ. Schussbreit, ohne Zweifel. Hinten weitere dubiose Gestalten. Als entsprängen sie gerade Tom Hank‘s Film «Captain Phillips» mit den Piraten in Somalia. Welchen wir dummerweise Weise erst gestern Abend geguckt haben. Aber dies hier ist echt. Einige der Typen mit Pistolen, einer mit einem Fernglas, einer zudem mit einem VHF Radio. Du großer Gott!
Zwei Motorboote brausen nun synchron backbords und steuerbords an uns vorbei. Im Vollspeed und Gischt aufspritzend legen sie sich gleichsam in eine enge Kurve. Das dritte Schiff blockiert in unmittelbarer Nähe unser Heck. Kein Zweifel, die wissen was sie tun. Wir liegen in der Zange. Und alle Maschinengewehre zielen direkt auf uns.
Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn, die Beine schwächeln. Jeglichen Gedanken zur Selbstverteidigung schiebe ich schon im Ansatz weg. Meine stumpfe Machete schwingend gegen die drei schussfreudigen Maschinengewehre? Selbst wenn ich eine Pistole in der Hand hätte – ich wäre schon längst tot. Die kriegserprobten Terroristen gegen den schmalspurigen Pazifisten? Die Schnellschiesser gegen den bedächtigen Akademiker?
Ein seltsames Gefühl von Endzeitstimmung breitet sich in meinem Bauch aus. Das war’s dann wohl. Sollen sie nehmen, was sie wollen. Zumindest konnte ich noch knapp um die Welt segeln, bevor mich die Kugeln durchlöchern. Na ja, vielleicht lassen sie mich auch einfach in einem dieser miesen Löcher in einem der staubigen Lehmdörfer Jemens jahrelang schmoren. Ja, da ist abknallen wahrscheinlich schon besser. Ich denke noch kurz an Imma, an Alba und dass meine Steuererklärung noch nicht ganz fertig ist.
Boris – rufe ich mit belegter Stimme nach unten. Dahin, wo er gerade am Kochen ist. Komm mal rauf, aber erschrecke nicht. Leichter gesagt als getan. Denn nun fährt das dritte Boot seitlich an uns ran. Schabt schon an unser Bordwand. Bum bum bum. Junge Typen stehen sprungbereit auf der Kante. Are you trois? – fragt ein etwas älterer Typ mit schon leicht weißlichem Bart. Eine wenig Vertrauen erweckende Erscheinung, aber offensichtlich der Boss der Bande. No, only two, – antwortet Boris auf die soeben im Cockpit abgestellten Teller mit den leckeren albóndigas de atún fresco zeigend. Als ob dies etwas beweisen würde. Wahrscheinlich wollen sie bloß wissen, wie viele sie abschießen oder als Geisel nehmen können.
Where are you from? – fragt mich nun der Boss. Spielt das eine Rolle? Barcelona, Spain – gebe ich mit zitternder Stimme zur Antwort. Ich hoffe, dass er Fußball mag und Messi. UNICEF. Völkerverbindend. Doch auf das Maschinengewehr schielend habe ich meine Zweifel. Ah, Spain. We are Police – sagt er nun. Stände ich nicht mit zitterndem Magen hinter dem Steuerrad wäre mir zum Lachen. Denn keiner trägt eine Uniform.
You are really Police? – frage ich in einem Anflug von geistiger Umnachtung und Übermut zurück. Als ob sie nun antworten würden: No Sir, you are right, I’m so sorry, in fact we are pirates from Yemen, let’s sit together, drink a cup of tea, then you give me all your money and I will kill you. Die jungen, finsteren Typen stehen jedoch immer noch sprungbereit mir direkt gegenüber auf ihrer lancha. Die Pistole griffbereit, ohne Zweifel werden sie gleich loslegen.
Yes, I’m Police – sagt nun der weißbärtige Boss – from the Military Station Jascharazubrrr. Ich schaue in ungläubig an. Die Maschinengewehre, die scheinbar blutrünstigen Jungs, die hochgezüchteten Außenborder, die offenen Skiffs. Dann schaue ich zur nahegelegenen Ille Jazair’ Az Zubayr rüber. Nun gut, so weit ist das echt nicht. Könnte ja sein. Go fast to this direction – sagt er nun und zeigt Richtung Sudan – away from here.
Der Volvo Penta der Tuvalu heult kurz aber entschlossen auf, ich drehe die Yacht ab, und tatsächlich, sie bleiben zurück. Wir winken uns noch, grüßen mit der Hand aufs Herz, als wären wir alte Freunde. Fast hätte ich noch gesagt jusque à la prochaine fois – lasse es dann aber doch bleiben.
Stunden später und schon weit entfernt von dieser verdammten Insel haben sich unsere Nerven wieder beruhigt, was nicht zuletzt auch den inzwischen kalten albóndigas de atún fresco von Boris zu verdanken ist. Meine apokalyptischen Gedanken erwiesen sich als ziemlich lächerlich. Begegnungen wie diese, das haben wir auf unserer Reise imnmer wieder erfahren, das sind doch entweder lokale Fischer oder freundliche Beamte. Hätte ich nach meinen endlosen Jahren auf See doch wissen müssen. Werde ich langsam alt und ängstlich? Zudem ist die See hier doch so flach, der Wind säuselt, relaxtes Nachmittags- Segeln ist angesagt. So dösen wir halt immer mehr entspannt dahin.
Boris – sage ich dann eine Weile später. Hörst Du auch dieses Brummen? Kommt sicher von diesem Tanker da vorne, hänge ich dann noch an, mich selbst überzeugend. Doch 15 Minuten später ist es nicht mehr zu leugnen. Zwei schnelle Skiffs brausen wieder auf uns zu. Ich starte den Motor. Schon bin ich wieder am hyperventilieren. Die Polizei kann das diesmal nicht schon wieder sein. Also bleibt bloß eine Möglichkeit. Mit achteinhalb Knoten halte ich direkt auf den Tanker zu. Wie die kleinen Fische, welche bei den grösseren Schutz suchen, wenn der Hai auftaucht. Lächerlich, also ob dieser zweihundert Meter lange Tanker von Evergreen auch nur im Geringsten etwas unternehmen würde, wenn die Piraten uns runtermachen. Immergrün, ein schlechter Witz im falschen Moment.
Und schon sind sie neben uns. Das eine Motorboot ist wieder voll mit dubiosen Gestalten, wild fuchtelnd. Im anderen ist nur ein einziger, junger Typ. Wenigstens sehen wir keine Maschinenpistolen. Was vielleicht aber bloß bestätigt, dass es sich diesmal wirklich um Piraten handeln muss. «Tabac-Tabac», hören wir sie zu uns rüber schreien. Wohl bloß eine Finte um uns so einfacher zu entern. Kurz darauf wirft Boris ihnen zwei Pakete Marlboro rüber. Das ist wohl etwas für abgestotterte Cowboys wie diese, mit Geschmack von Freiheit und Abenteuer.
Tatsächlich! Es wirkt. Im Freudentanz grüßen sie uns mit der Hand auf dem Herzen und brausen wieder davon.
Rotes Meer, 11. März 2023
Puaf, uno ya tiene una edad para éstos sustos!
Ufffff suerte que ya he hablado contigo!!!
Uuuf, Hans, me has tenido con el corazón en un puño todo el rato ! Un abrazo de ❤️
Adrenalina, aventura. Fascinante relato Hans. Un abrazo y muchos ánimos. Tu vuelta al mundo está a un tiro de piedra.
Espero que hayas podido terminar tu declaración para hacienda este año están que muerden !!!