Warm und grau

Alles ist mit einer dünnen, leicht pelzigen Schicht überzogen. Bräunlich, manchmal grau. Langweilig bis unappetitlich. Bestenfalls sieht man noch den blanken Fels. Am Boden dagegen wächst so ein grünes Kraut, das sich langsam hin und her wiegt. Dazwischen kommt manchmal noch etwas Glitschiges hervor, denn zwischen den Gräsern fühlen sie sich wohl. Aber auch ihre bunten Farben sind längst verschwunden. Nur ab und zu, fast wie aus Versehen, durchquert mich noch einer dieser Gelbgestreiften. Erst vor kurzem sind diese dicken, mit langen Fäden versehenen bei mir angekommen. Durch diesen künstlichen Kanal da unten im Süden. Weil es bei mir jetzt so schön warm ist. Jetzt fressen sie unbekümmert alles auf.

Ich schwitze. Ihr da oben auch, 44 Grad sind es da oben bei Euch in der Luft. Ich verstehe Euer Jammern. Natürlich ist es hier unten immer noch besser, deshalb springt Ihr in diesen Tagen oft in mich hinein. Um Euch abzukühlen. Ausgerüstet mit schrillen Schnorcheln und bunten Flossen, auf der vergeblichen Suche nach den bunten Fischen, den Korallenbänken in allen erdenklichen Formen.

Manchmal fegen heftige Winde über mich hinweg. Machen oben ein paar Wellen, die die Boote lustig hin und her schaukeln lassen, neuerdings gibt es sogar kleine Wirbelstürme. Aber so richtig abkühlen können sie mich auch nicht. Da kann der Wind noch so stark blasen. Ich sehne mich nach einem großen Eisberg, als wäre ich ein riesiger Gin Tonic. Aber das sind nur Träume, so etwas gibt es für mich nicht. Es ist und bleibt zu warm, deshalb ist alles so trostlos hier unten. Hier braucht es nur ein paar Zehntel Grad mehr und vieles stirbt ab. Was früher bunt und üppig war, ist jetzt öde und grau. Fragt Eure Großeltern.

Aber eure Welt scheint immer bunter zu werden. Ihr liebt wieder das Barocke, den Schein, die Illusion. Deswegen habt ihr Instagram und TikTok. Ich nicht, wozu auch? Ihr müsstet da oben nur wenig tun, dann ginge es mir hier unten viel besser. Ein bisschen weniger die Umwelt aufheizen, ein bisschen weniger herumfahren, ein bisschen mehr nachdenken. Und was macht ihr, wenn alle Bienen flach liegen? Dann geht es Euch wie mir. Plötzlich ist auch bei euch alles öde und grau.

Liebe Grüße

Euer Mittelmeer

Der realisierte Traum

Ich bin konfus. Hatte ich doch ein bestechend einfacher Plan. Ein klares Ziel. Man fährt einmal um die Welt. Einfacher gehts kaum. Von Barcelona nach Barcelona. Stets voran westwärts. Bis man wieder zu Hause ist. Irgendwann.

Es sei denn, dass mal unverhofft ein Kontinent im Wege steht. Dann verlässt man gezwungenermassen den logisch erscheinenden Track. Biegt nach Nord oder Süd ab. Bald realisierend, dass man auch etwas länger verweilen könnte. Wozu die Hast? Macht einen Abstecher dahin oder dorthin. Der eigentliche Plan wird nun das Unterwegs sein, das Erleben, das Reisen. Das Ziel wieder in Barcelona anzukommen, verflüchtigt sich. Aufgelöst in den grossen Weltmeeren. Wieder L – E – B – E – N, habe ich doch beim Start gesagt.

Trotzdem. Seit wir Djibouti verlassen haben und Anfangs Februar ins Rote Meer reingefahren sind, hat sich in meinem Hinterkopf latent ein Gedanke eingenistet: Schon bald ist alles vorbei. Trotz all den noch folgenden vibrierenden Erlebnissen und Begegnungen in Jemen, Sudan, in Ägypten. Der oft so fremden, irritierenden islamischen Kultur, der bedrückenden Armut, den aufregenden Ankerplätzen hinter den Korallenriffen. Der Gedanke hat sich festgekrallt, eine leichte Melancholie weitet sich in meiner Seele aus.

Mitte Mai werden wir unvermittelt wie der soeben abgeschossene Korken der schäumenden Champagner – Flasche aus dem Suez – Kanal herausgespült. Auch wenn es dasselbe salzige Meerwasser ist wie überall, wir im Wind krängen und in den Wellen schaukeln wie eh und je. Wie seit Wochen dieselben riesigen Öltanker zuvor majestätisch an uns vorbeiziehen. Innert Sekundenbruchteilen ist alles anders. Real. Wir sind zurück im domestizierten Mittelmeer. Unser Mediterráneo. Das zuhause. Wir sind angekommen. Denn da vorne, wenn auch noch geschlagene 1600 Meilen von uns entfernt, liegt Barcelona. Das vermeintliche Ende.

Schon bald dunkelt es ein und die letzten vor Anker liegenden Containerschiffe liegen hinter uns. Und wie tausende Mal zuvor, gehen wir wieder in den Nacht – Modus. Rettungswesten, Lifelines, Kopflampen, der Salon wird zur Schlafstätte. Imma macht Wache bis zwei Uhr nachts, ich dann bis in den Morgen hinein. Alles ist wieder wie immer, vergessen ist das Ende der Reise, die Melancholie. Wir segeln voran zum unbekannten Ziel. Wohin auch immer.

Zwei Tage später treffen wir in Ayia Napa an der Südküste Zyperns ein, eine brandneue Marina mit exzellenter Architektur. Das Leben hier sehr europäisch, aller Luxus ist zu haben, die Restaurants mit exquisiter mediterraner Küche und gutem Wein. Was für ein Kontrast zu Ägypten. Auch begeistert uns die getrennte Hauptstadt Nikosia, innovative Kultur fast wie bei uns zuhause in Barcelonas Poblenou. Doch Zypern liegt ausserhalb der Schengen – Zone. Also sind wir doch noch nicht ganz zu Hause.

In Finike an der türkischen Südküste werden wir dann unverhofft einen Schritt zurückgeschoben. Wir lauschen wieder dem besinnlichen Ruf der Muezzine zum Gebet, während wir noch in der Koje liegen. Alles ist wieder sympathisch unaufgeräumt, und statt Europäern sind die Russen omnipräsent. Langsam tuckern wir der Küsten entlang hinauf und schon fast fühle ich mich wieder in Ägypten.

Nur wenige Meilen vor der Küste liegt Kos, unsere erste griechische Insel. Wie absurd sind doch die Grenzen. Hier sind keine Stempel mehr im Pass erforderlich, das Einklarieren gestaltet sich problemlos. Die Yacht darf uneingeschränkt hierbleiben. Dies ist ja Europa. Nun sind wir wirklich um die Welt gesegelt, sagt Imma. Abends feiern wir ein weiteres Mal unsere Umrundung, mit Ouzo, Tzazikei uns Souflaki. Schwankend kehren wir spät abends auf die vor Anker liegende Tuvalu zurück.

Dort trifft uns die Nachricht wie ein Hammerschlag einer Sturmböe. Sofort sind wir wieder nüchtern. Imma‘s Mama liegt im Sterben. Am nächsten Morgen fliegt sie überhastet nach Barcelona, zum Glück sind wir nun schon in der Nähe. Der Tod ihres Vaters 2011 in der Karibik segelnd, drängt sich unweigerlich zurück in unser Gewissen.

Derweil taumle ich segelnd weiter, bis ich in Leros einen Platz in der Marina finde. Hier liegen auch Miguel und Dora mit ihrer Oceanovi, welche uns im Jahre 2010 bei einem zufälligen Treffen in Mykonos entscheidend ermuntert haben, auf Weltumseglung zu gehen. Da könnten wir die Weltumseglung zu einem sinnvollen Abschluss bringen, sagt Imma. Doch nun ist sie ja schon in Barcelona, und ich folge ihr nach.

 Zwei Wochen später bin ich wieder zurück auf der Tuvalu, derweil Imma in Barcelona sich noch definitiv um die Vergangenheit ihrer Mutter kümmert. So konvertiere ich wieder einmal zum Einhandsegler. Spühre die unverdorbene, tiefe Verbindung mit meiner Yacht. Mit der See.

Eine Weltumseglung sei vollbracht, wenn man die Ausgangs – Linie kreuze. So sagt man. Also in Mykonos, nur ein paar lausige Meilen fehlen noch. Zwei Wochen später ist es so weit, Imma kommt an der Südküste Mykonos wieder an Bord. Die letzten zwei Meilen segeln wir wieder zusammen, bis in der Südbucht Rineia. Da wo wir – Imma, die Tuvalu und ich selbst – am 08.August 2010 schon einmal geankert haben, bevor wir wieder zurück nach Barcelona abdrehten um auf die ganz grosse Reise zu gehen.

Gemeinsam fuhren wir los, gemeinsam kommen wir wieder an. 13 Jahre und 53.410 Seemeilen ging es immer nur voran, alle Ungemache beharrlich umschifft und uns zutiefst ab diesem Leben auf See erfreut. Nun ist es vollbracht. Wie 1522 Elcano und Magellanes als Erste überhaupt, und unzählige weitere danach. Für die Welt ist unsere Weltumseglung somit wahrlich keine sonderliche Leistung mehr. Und doch haben auch wir heute unser Fahrwasser gekreuzt. Es vollbracht. Damit für uns selbst bestätigt, was längst evident ist. In undenklichen Stunden, Tagen, Wochen, Jahren auf See. Geduldig, beharrlich, tiefgreifend, einzigartig und wahrhaftig. Nun wissen wir es. Die Welt ist rund.

 

Mykonos, Griechenland, Juli 2023

 

Bilder Mittelmeer:

https://www.tuvalubarcelona.es/de/portfolio-items/mediterraneo/

Bilder Suez – Kanal:

https://www.tuvalubarcelona.es/de/portfolio-items/suez-canal/

Wo ist die Tuvalu aktuell? Hier:

https://www.tuvalubarcelona.es/de/position/

 

 

 

 

La dolce vita

Paul schaut über das Vorschiff hinaus auf die Meerenge von Messina. Sein Blick ist scharf, inspizierend, analysierend. Ganz englischer Kapitän, darüber kann auch der lockere Dress, kurze Shorts und ein beiges T-Shirt, nichthinwegtäuschen. Der Morgen ist idyllisch, Wolken sind am Himmel kaum auszumachen. Die milde Septembersonne wärmt meine Haut. Links der Ätna, ein leichter Rauch steigt durch den Morgendunst aus dem nur knapp auszumachenden Gipfel. Rechts liegt das liebliche Regio Calabria, ich denke an Pizza, Martini und summe leise «Parole, Parole». Doch vor uns ist das Wasser aufgewirbelt, widerspenstig, was der scharfe Blick meines Kapitäns sofort ausmacht. Definitiv nicht normal. Etwas stimmt nicht. Vor einer halben Stunde habe ich ein leises, rhythmisches Klopfen aus dem Motorenraum vernommen. Doch mir schien, dass der Motor sonst leise und zufrieden vor sich hin brummt. La dolce vita, certa.

Dann ein lautes Knallen, wie ein Peitschenschlag, ein harter Ruck geht durch das Schiff. Kein Rauch, auch keine Lavablocken die vom Himmel fallen. Der Ätha schmaucht wie eh und je. Doch nun herrscht Stille. Kein leises Brummen mehr. Ein leichtes Gurgeln vielleicht. Eine Möve kreist über uns und tut, als ob alles ganz normal wäre. Ich schaue irritiert in die Runde. Wir schaukeln sanft hin und her. Langsam dreht die Jacht ab und treibt gegen das Ufer hin. Wir hätten es ja wissen müssen.

Denn Charybdis hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Dreimal am Tag saugt das Meeresungeheuer das Wasser ein um es dann brüllend wieder auszustoßen. Ich versuche verzweifelt den Feigenbaum auszumachen, an welchen sich schon Odysseus rettend geklammert hat. Doch nirgendwo ist er zu sehen. So treiben wir haltlos auf den großen Wirbel Scylla zu, den Paul wohl schon vor ein paar Minuten bemerkt hat.

In einem Akt der letzten Verzweiflung lassen wir das Dingi zu Wasser. Falls Scylla unsere Jacht ganz nach unten zieht, können wir uns so noch an Land retten. Doch Andi und Paul, gestandene doppelte Weltumsegler (nun ja, beinahe – für den Abschluss der zweiten Runde fehlen nur noch ein paar lächerliche Meilen), haben eine andere Idee. Sie setzen mich ins Dingi. Seitlich an die Jacht vertäut schiebe ich uns so im ungleichen Doppelpack voran. Langsam, aber stetig verlassen wir die gefährliche Zone, das aufgewirbelte Wasser, die Meeresungeheuer und die saugenden Wirbel. Bis wir letztendlich in der Marina dello Stretto landen, wo wir uns erschöpft an die erstbeste Mole binden. Erleichtert steige ich an Land. Wer hätte gedacht, dass ich mit einem 3,2 Meter kurzen Dingi je die Meerenge von Messina durchqueren würde.

Im griechischen Zakynthos durfte ich vor ein paar Tagen auf die wunderschöne Jeanneau 57 «Talulah Ruby lll»zusteigen. Während Jahren waren wir mit unseren Jachten gemeinsam im pazifischen und indischen Ozean unterwegs. So freute es mich speziell, sie auf ihrer letzten Etappe begleiten zu können, welche sie ins heimatlichen Lanzarote führen soll. Die erste Etappe von Griechenland nach Sizilien war ein schneller und bequemer Overnight – Trip. Weiter sollte es nun nach Sardinen gehen.

Doch jetzt sitzen wir hier in der Strasse von Messina fest. Was vorerst nach einem unbedeutenden Keilriemenschaden ausgesehen hat, hat sich als schwerer Motorschaden entpuppt. So musste gestern in schweisstreibender Manier der Motor mit einem grossen Kranen aus der Jacht gehoben werden, um ihn beim autorisierten Volkswagen – Mechaniker komplett zu überholen.

Die Ankunft im vertrauten Lanzarote wird ganz in homerscher Tradition auf einen unsicheren Zeitpunkt in der Zukunft verschoben. Charybdis hatte halt andere Pläne mit uns.

Alicante

„Meine Stadt ist durchtränkt vom Mittelmeer. Der Duft des Meeres salbt seine Steine, die Gittern, die Stoffe, die Bücher, die Hände, die Haare. Und der Himmel und die Sonne über dem Meer verherrlichen die Dächer, die Türme, die Mauern, die Bäume. Und da wo das Meer nicht zu sehen ist, spürt man den Sieg des Lichtes in der Luft, leuchtend wie ein wertvoller Stoff.“ (Gabriel Miró)

Nach Benidorm, Stadt der Touristen, ist nun doch wieder das fröhliche Seglerleben angesagt. Eine angenehme Tagesfahrt bringt uns nach Alicante. Die Stadt der Segler, wie wir bald auf verschiedenen Ebenen merken.

Nicht nur der freundliche Empfang im „Real Club de Regatas de Alicante“, der seit über hundert Jahren direkt vor der Altstadt seine Installationen hat. Hier liegt unsere TUVALU sicher. Und im Club-Restaurant offerieren aufmerksame Kellner exzellente und preisgünstige Menus. Was will der durch die See gehärtete, müde Segler noch mehr?

Alicante ist auch Start und Ziel der Weltumseglungs- Regatta Volvo Ocean Race, mit Start am 14. Oktober 2011. Viel zu sehen davon ist allerdings noch nichts. Wie auch immer; so schnell mögen wir es eh nicht, aber nett am selben Ort zu sein ist es trotzdem. Irgendwann werden diese Rennyachten dann wohl an uns vorbei flitzen.

Ebenso langsamer hat dasselbe Cocou hinter sich gebracht. Ihnen kennen wir schon länger, nur er nicht uns. Diesen Sommer haben wir sein gut (auf spanisch) geschriebenes Buch „Un paseo por el mundo“ gelesen (download). In vier Jahren ist er teilweise einhand um die Welt gesegelt. Neben vielem Nützlichem finden wir in Seglerbüchern wie diesem vor allem Inspiration. Sie geben uns Mut: Ja, können wir doch auch!

Und tatsächlich, ein paar Meter neben uns liegt Cocou’s ARCHIBALD. Ein gemeinsames Mittagessen mit Fortsetzung bei Rum und Schoggi bis in den späten Abend auf der TUVALU lässt uns Cocou auch ganz real kennenlernen. Wir geniessen die Begegnung und saugen wissbegierig die Erfahrungen dieses exzellenten Weltumseglers auf. Gleich wie vor einem Jahr als wir die in die Griechenland Bekanntschaft mit der ebenfalls spanischen Crew der OCEANO VI machten (welche in San Blas auch Cocou trafen). Wir sind beeindruckt, wie hilfsbereit diese erfahrenen Segler sind.

Wir lassen die TUVALU für eine Woche in Alicante und reisen per Zug zurück nach Katalonien. Etwas Arbeit, aber vor allem Familienbesuche sind angesagt. Tochter Alba arbeitet in Barcelona und versucht sich im selbstständigen Leben zurecht zu finden. Der soeben geborene Quim, der 3. Sohn von Imma’s Nichte Miriam, wird willkommen geheissen. Joaquim und Conchita, die lieben Eltern Immas, die uns zuhause aufnehmen. Vater Joaquim ist trotz Krankheit erfreulich munter – gestandene Kapitäne wie er lassen sich nicht so leicht runterkriegen! Und natürlich auch Immas Bruder Quim und seine andalusische Frau Maria (inklusive unser ex-crew-Mitglied und Nichte „Pirat“ Lucia). Segeln ist schön, aber die Familie zu spüren ebenso!

Zurück in Alicante fühlen wir uns sofort wieder wohl in dieser Stadt. Sie ist durchtränkt vom Mittelmeer, wie die einleitende Poesie so schön sagt. Wir besuchen die exzellente aktuelle Architektur, aber auch die historischen Monumente wie die über der Stadt thronende Burg. Wir hören auch vom revolutionären Geist seiner Einwohner. Schliesslich haben sie hier am 20.11.1936 den ersten faschistischen Führer Spaniens und Chef der Falange, José Antonio Primo de Rivera, exekutiert. Was für eine gute Tat! Viel genützt hat das alles aber doch wieder nichts. Immerhin; Alicante fällt als allerletzte republikanische Stadt im spanischen Bürgekrieg. Am 1. April 1939 – leider kein Scherz – marschieren die Truppen Francos ein, der Krieg ist zu Ende und 40 lange düstere Jahre stehen an. Aber, wir sind ja nun weder Touristen, noch Architekten, noch Historiker. Sondern offenbar angehende Weltumsegler. So stechen wir wieder in die See. Der Wind ist günstig – 4 – 5 Beaufort aus Ost. Mit einem Zwischenhalten mit nächtlicher Einfahrt ins Mar Menor und ein Tag später in Aguilas (mit seinem beeindruckenden neuen Auditorium) rauschen wir Richtung Süden. Cabo de Gato, das letzte Kap Richtung Gibraltar ruft!

New York City – made in Spain

Segeln ist nicht immer nur türkis Wasser und schöne Inseln mit Palmen. Sondern dann und wann auch die Möglichkeit, eine privilegierte Sicht auf den Stand der Dinge zu haben.

Ab den 50er Jahren (also noch zur Franco – Zeit), hat sich die Mittelmeerküste zu einem der grössten Erfolge der spanischen Wirtschaft entwickelt. Die Deutschen und die Schweizer beginnen in Massen nach Spanien in die Sommerferien zu fahren. Der genius loci wird geprägt durch Strand, Meer, Paella, Bikini und Sangria – alles in Hülle und Fülle vorhanden und billig wie sonst nirgendswo. Sechzig Jahre später ist das Resultat eine beinahe durchgehende Strandstadt – von der französischen Grenze bis runter nach Malaga. An gewissen Orten von einer Dichte, die einem den Atem zerschlägt. Doch heute: „la crisis“? Ja natürlich, sogar sehr. Doch davon soll hier nun nicht die Rede sein.

Wunderbar beschrieben das städtebauliche Phänomen dieser hyperdichten Bandstadt (und mit studentischen Arbeiten der barcelonesischen Architekturfakultät ESARQ angereichert) im 1988 publizierten Buch „Costa ibérica, hacia la ciudad del ocio“ (Editorial: Actar) des niederländischen Architekturbüros MVRDV.

Unsere eigenen „Feldstudien“ betreffen Culleras, Calpe und Benidorm. Letzteres, das extremste Beispiel, steht bzgl. Skyline Manhattan in keiner Weise nach. Hunderte von Hochhäusern – die dichteste und höchste Stadt Spaniens.

Natürlich sind auch wir zuerst perplex. Doch dabei ist das Modell eigentlich gar nicht so schlecht. Jeder Tourist sieht aus seinem hoch über dem Strand schwebenden Hotelzimmer direkt aufs Meer. Was will man noch mehr? Eine radikale Optimierung eines funktionalistischen Städtebaus. Und sogar die Architektur ist noch ganz akzeptabel (was man allerdings in Culleras und Calpe nicht sagen kann). Dass man vielleicht keine Lust hat all die Hochhäuser zu sehen? Kein Problem, man schaut ja aufs schöne blaue Meer.

Und genau dort sind wir. Nun schon seit 48 Stunden baumeln wir an einer Boje vor der „Isla de Benidorm“, mit atemberaubender Sicht auf die Skyline. Und hier haben wir das Glück alle Hochhäuser zu sehen. New York City in Spanien.

Ja, ich bin ja Architekt und kein Tourist. Und ehrlicherweise müssen wir gestehen, dass uns das Ganz ganz gut gefällt……

Sailingarchitects

Das schöne an unserer Reise ist, dass wir immer wieder Besuch erhalten. Dieses Wochenende beispielsweise von unserem Freund Boris Strzelczyk aus Valencia. Wir segelten um das Cabo de la Nao herum und haben die gemeinsamen Stunden sehr genossen! Boris ist unser Guiding Architects Mitglied in Valencia (www.ga-valencia.es). Natürlich ist es toll, dass wir so Freunde beinahe in der ganzen Welt haben. Heimliches Ziel unserer Reise ist es alle 33 Mitglieder zu besuchen. Kopfzerbrechen bilden uns aber im Moment noch Städte wie Madrid, Zürich, München, Moskau. Gerne erwarten wir kreative Vorschläge….

 

black

Unsere ersten Wochen zeichnen sich ja nicht gerade durch einen hohen Schnitt von gesegelten Meilen aus. Ist auch gar nicht die Idee – wir wollen ja unser Schiffchen testen und haben bis Ende November alle Zeit um nach Gran Canaria zu gelangen. So verbringen wir die Zeit mit unserem geliebten Buchtenhüpfen entlang der Nordwestküste Ibizas. Wunderschön, denn diese haben wir bis anhin kaum gekannt.

Plötzlich zuckt Imma erschreckt zurück, denn ihr kommen zwei pechschwarze Gestalten entgegen. Auf einer Weltumseglung wäre dies an sich ja nichts besonderes, aber eben befanden wir uns doch noch auf einem lauschigen Sandpfad, umsäumt von grünen Büschen. Es eröffnet sich eine öde, grauschwarze Mondlandschaft. Vegetationslos. Natur scheint hier nicht stattzufinden. Uns würde nicht überraschen, wenn hinter der nächsten Ecke noch die leicht angerostete Apollo 11 stehen würde und ein Astronaut daher gehoppelt käme.

Navigation im Zeitalter des GPS ist doch kinderleicht – und jetzt das. Haben wir uns so vertan und sind auf dem Mond, Mars oder der Venus gelandet? Eine weitere undefinierte Gestalt entsteigt einem suppentopfähnlichen Loch in der schwarzen Öde. Sollen wir Ihr allenfalls ein friedenvermittelndes Gastgeschenk überreichen (wie wir es in den duzenden von Segelbüchern immer wieder gelesen haben)? Wir sind ja noch unerfahren in solchen Dingen.

Doch glücklicherweise entpuppt sich die Gestalt als Spanier, und Crewmitglied unserer Nachbarsyacht. Bloss von einer stinkenden schwarzen Masse überzogen. Denn wir befinden uns in Espalmador (Formentera) und hier scheint es Tradition zu sein dass man sich in die hinter dem traumhaft schönen Karibikstrand gelegene Schlammlagune stürzt. So pilgern täglich duzende von Segler ins selbe Loch. Der Schlamm sei gut für Haut, Rheuma, Knochen. Wir haben so unsere Zweifel. Monatelang baden alle im selben Schlamm – Suppentopf? Wasser ablassen und neu auffüllen wäre auch hier wohl mal ganz angebracht. Es stinkt ja auch schon ganz fürchterlich. So bleiben wir lieber weiss.

Formentera

Formentera

Formentera

Formentera

Canned

En conserva, „in Konserve“ sagt man auf Spanisch, wenn man mit einem oder mehreren befreundeten Yachten unterwegs ist. Auf Überfahrten, in Buchten – und natürlich abends beim gemeinsam Aperitif und Rumtrinken. En conserva. Wir denken an Ravioli, Spargeln, Sardinen, dicht gepackt (diese allerdings meist unfreiwillig).

Jorge von der IXEIA, mit dem wir seit cala Ratjada unterwegs sind, hat eine andere Erklärung. Im Militär en conserva unterwegs zu sein heisst im Verband zu bleiben. Sich gegenseitig schützen, bevor man dann aussprengt und zum Angriff übergeht. Vielleicht geht’s also doch mehr um Schutz. Nicht wie in Somalia vor den Piraten (Mallorca hat bloss zu viele deutschsprechende Touristen, und diese sind meist harmlos), aber vielleicht vor starken Winden, Gewittern und Strömungen. Man delegiert Verantwortung, teilt Aufgaben, hilft sich bei technischen Problemen, bespricht die Wetterberichte. Ja, dann und wann segeln wir ganz gerne en conserva.

Unterwegs en conserva sind wir also mit Jorge und Cecillia von der IXEIA, und auch mit Marcos und Carmen von der STROMBOLI, mit unseren alt bewährten Lieblings-Konservisten. Seit Jahren wachsen unsere Kinder gemeinsam, gleich wie unsere Schiffe. Viele Sommer waren wir schon gemeinsam in den Balearen und in Corsica / Sardinien. IXEIA kennt sich im Mallorca am besten aus und macht so den Touristenführer. In Cala Canyamel besuchen wir die Tropfsteinhöhlen (die grössten der Insel, Europa, Universum). In der Cala Magraner – in Ehren von Immas Mutter (=Magraner) – werden wir von einem Werbekatamaran mit kalten San Miguel versorgt. Hat wirklich Mami Magraner das organisiert? In der Colonia San Jordi schauen wir gemeinsam die Supercopa Barça – Madrid (wir gewinnen 2:2).

Nach einer Woche wird die conserva dann wieder geöffnet. Der Wind ist günstig und wir setzen uns ab nach Ibiza. Abschiede sind immer etwas traurig. Aber machen Platz für Neues. Wir fischen wieder.

 

In Deutschland

Zwei bis drei Meter Welle von hinten, aber leider viel weniger Wind als versprochen, beschert uns die kurze Überfahrt unter Passatbeseglung nach Deutschland. Wir sitzen im Biergarten, essen Wolfsbarsch und zum Nachtisch Quarkspeise mit heisser Waldbeerensauce. Hmm, wie lecker! Ich fühle mich fast wie zuhause. Erstaunlicherweise spricht der Kellner sogar eine wenig Broken spanisch, auch wenn ich Imma dann trotzdem die Speisekarte übersetze. Ja, wir liegen vor Anker in der Cala Ratjada (seltsamerweise wurde es noch nicht in Kalaratschada umbenannt; doch wahrscheinlich will man so Referenz an frühere Kulturen erweisen). Mir ist es schon fast ein wenig unheimlich ab soviel „Kulturtransfer“. Als wir dann – auf spanisch – ab dem schönen Ankerplatz vor dem Dorf verjagt werden (Ankerverbot das Naturschutzgebiet) bin ich schon fast ein wenig froh. Wir sind wieder zurück in Spanien.

 

Cala Ratjada

Try out

Mit einer leichten Abendbrise tuckern wir vollgetankt und ruhig mit dem Motor in die Nacht hinaus. Am folgenden Mittag – die Winde haben auf Ost gedreht, also genau auf die Nase, umrunden wir Cap Formentor. Nicht mal den Anker brauchen wir in der ersten Bucht unserer ganz grossen Reise. Faul binden wir uns an eine zahlungspflichtige Boje in der Cala Formentor an. Noch immer schweben wir wie auf einer Wolke. Sind wir wirklich unterwegs?

Zwei Tage später setzten wir nach Menorca über und ankern in der Cala Macarela – für uns immer noch eine der schönsten Buchten im Mittelmeer. Nicht zu sprechen vom legendären Schafsrücken mit Pommes im chiriguito am Strand. Einmalig. Auf unseren früheren Reisen durchs Mittelmeer hat sich Menorca quasi zu unserem Hausrevier gemausert. Obligatorische Zwischenstation auf unseren Fahrten nach Korsika, Sardinien, Sizilen, Tunesien, Griechenland. Oder auch ganz einfach lange Sommerwochen rundum Menorca.

Logisch war folge dessen hier unsere erste Station der grossen Fahrt zu beginnen. Abnabeln und Ausprobieren. Vielleicht besser in einem uns bekannten Revier. Natürlich haben wir schon in Barcelona viele der Neuinstallationen und Neuanschaffungen probiert. Doch unter realen Bedingungen konnten wir praktisch nichts testen. Vor allem die grossen Neuigkeiten sollen also einen ersten Stresstest überstehen: Der Watermaker, die Windsteueranlage, die Kurzwellenanalge mit Pactor-Modem zum emailen, die autarke Energieversorgung mit Solarpanels und Windgenerator.

Die Testbedingungen sind ideal: Das Wetter ist miserabel. Juli im Mittelmeer? Eher Hamburg im November. Kalt, viel Regen, mal bläst’s von Norden, mal von Süden. So ankeren wir oft im Mahon. Dem neben La Valetta / Malta wohl grandiosesten Naturhafen des Mittelmeers. „Es gibt gutes Wetter, schlechtes Wetter und Mahón“ sagt ein Sprichwort. Uns trifft also die dritte Variante. Hätten wir vielleicht doch eine Heizung installieren sollen?

Kompensiert wird das ganze aber durch viele gute Freunde, die mit ihren Yachten hier sind. Beat und Maria mit ihrer LADY NADA, Elena und Manel mit der OYESBIEN, Marta und Guillermo mit der MINDANGO, Leon und Brigitte mit der FERIA, und auch die BICHO – eine Dufour 40 von Edu. Der halbe Hafen von Garraf scheint in Menorca zu sein. Und Kika, unser langjährige Freundin aus Ciutadela besucht uns mehrmals und hilft mit Tat und Rat.

Auch erhalten wir Besuch von unserer Nichte Lucia. Neunjährig und schon ganz Pirat! Wir geniessen die Woche mit ihr, erinnern uns zurück als Tochter Alba noch klein war und wir mit ihr auf unserer damaligen Yacht, eine Dione 98 namens COMIC, in den Buchten unterwegs war. Wir umrunden en conserva mit den MINDANGOS die Insel, so hat unsere Lucia mit deren Mar auch eine beinahe gleichaltrige Spielgenossin. Vielleicht haben wir der guten Lucia einen Floh ins Ohr gesetzt, wird sie mal auf eigenem Kiel nach Polynesien segeln (siehe auch: http://www.jessicawatson.com.au)?

Dies erlaubt uns auch, das vollgepackt Boot etwas zu ordnen und alle technischen Neuigkeiten zu probieren. Der Windpilot braucht viel Aufmerksamkeit, kommt aber am Ende ganz flott zum funktionieren, der Watermaker hat zwei undichte Dichtungen die leicht zu beheben sind. Doch sonst scheint sich alles zu bewähren. Die Batterien sind stets voll, soviel Energie wir auch verbrauchen. Wir mailen via Kurzwelle. Und natürlich passen wir tausende kleine Dinge an. Die eigentlich geplante Rückkehr nach Barcelona, um technische Anpassungen und Verbesserungen zu machen fällt somit unerwarteter Weise ins Wasser. Aber das kriegen wir ja genug von oben.

 

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