Nebenan höre ich ein schwaches, gurgelndes Schnaufen. Ein kleiner, brauner Kopf mit schwarzen Kulleraugen taucht aus dem Wasser auf. Eine Schildkröte, mit einem kurzen Rundblick Kollisionen vermeidend. Was sie offensichtlich mit Erfolg macht, ist sie doch vielleicht schon seit 160 Jahren unterwegs. Schlag um Schlag schwimmt sie voran. Alleine überquert sie die Ozeane. Joshua Slocum hat es ihr gleichgetan, als er als erster Segler 1898 alleine um die Welt segelte. Die Schildkröten machen dies allerdings schon seit Jahrtausenden. Ihr Lebensrhythmus tickt allerdings anders. Entschleunigt. Man lebt ja gegen 200 Jahre, was soll die Hast?
Mein eigenes Leben als Ozeansegler ist auch entschleunigt. Wird durch die Sonne strukturiert. Morgens um fünf geht sie auf, sanft, aber entschieden. Markiert den Beginn vieler Aktivitäten. Abends um halb sechs geht sie dann wieder unter. Zeit, um bald schlafen zu gehen. Beide male färbt sie den Himmel und das Meer ein. Unübersehbar spektakulär. Zumindest dann erklärt sich, warum man das Meer hier das Rote nennt.
Der Wind gibt unseren Wochen-Rhythmus vor. Im Roten Meer bläst er meistens von Nord. Das ganze Jahr. Nicht wie in Malaysia, wo der Monsun halbjährlich in die Gegenrichtung dreht. Doch nach etwa einer Woche erlaubt sich dieser Wind oft eine Pause. Fühlt sich ausgepustet. Lässt windstille Zeiten oder gar Brisen aus Süd zu. Dann segeln wir ein Stück nordwärts. Legen uns wieder hinter ein Riff, wo dann der wiederkehrende Nordwind die Yacht an der Ankerkette rüttelt. Dies erlaubt uns, geruhsam Schnorcheln zu gehen, die Korallen, die Fische, die Schildkröten, die Haie zu beobachten. Wir haben Zeit. Manchmal entdecken wir morgens beim Aufstehen, dass ein Fischerboot neben uns geankert hat. Wir winken ihnen zu. Schön, wieder einmal zu kommunizieren. Auch wenn es bei 35 Knoten Wind nur auf Distanz geht. So oder so würde sich ein persönliches Gespräch auf Grund meiner mangelnden Arabisch- Kenntnisse auf Mimik und Gestik beschränken.
Gestern habe ich in einer Kiste im Vorschiff die Uhr meines Grossvaters wiedergefunden. Eine schön verziert Taschenuhr aus Silber. Flach liegt sie passend in meiner Hand. Oben befindet sich ein Ring und ein grosser Drehknopf. Alle zwei Tage muss sie aufgezogen werden. Vergisst man es, dann passiert das Beste, das einer Uhr passieren kann. Die Zeit steht still.
Wann gibts das heute noch? Wann schon haben wir Stille, leben zeitlos wie eine Schildkröte? Keine WhatsApps piepsen, keine Mails, keine Anrufe. Das iPhone dient bloss noch zum Musik und Podcast hören? Zum Uhrzeit ablesen, wie bei Grossvaters Taschenuhr? Die wahre Auszeit entsteht, wenn «no signal» auf dem Display steht. Das Offshore-Segeln macht dies möglich. Unverhofft ergibt sich ein wahrer Luxus, der bloss noch an solch abgelegenen Orten der Welt möglich ist. Draussen auf den Ozeanen, hoch oben auf Bergen im Himalaya. Auf dem Mond, wohl auch.
Eine unglaubliche Ruhe, die sich so einstellt. Sie erlaubt uns, uns wieder auf uns selbst zu besinnen. Bücher zu lesen. Zu schreiben, wie ich gerade jetzt. Ich konzentriere mich auf die wirklich wichtigen Aspekten im Leben. Nichts tun im rasenden Stillstand? Fragen zum Sein zu stellen sich, ich höre auf meinen Körper, finde zur grandiosen Natur zurück. Ich werde gesund.
Ich muss gestehen, ganz ohne Kommunikation schaffen auch wir es leider nicht. Wir haben ein Satelliten-Telefon. Aber dessen Anbindung ans Internet ist so schildkrötenmässig langsam, dass es keinen Echtzeit-Stress zu verursachen mag. Aber es erlaubt uns, detaillierte Seewetter-Prognosen runter zu laden, SMS und Text-Mails auszutauschen. Notfalls sogar zu telefonieren. Auch haben wir eine Kurzwellen-Funkanlage an Bord. Aber seit Rafael de Castilla in Las Palmas de Gran Canaria starb, ist es nicht mehr dasselbe. Zudem, hoffentlich scheitert die weltweite Abdeckung des Mobilnetzes die Elon Musk mit Tausenden von Mini-Satelliten vorantreibt. Meine Seele wäre sehr dankbar.
Ich bin keine Technologie- Gegner, gar nicht. Die Geolokalisation, elektronische Seekarten, Satellitenfotos, AiS, die Gribfiles mit Wetter-Routing sind eine exzellente Hilfe und machen das Segeln in komplexen Situationen wie zum Beispiel jenen im Roten Meer erst möglich. Niemals würde ich am wieder aufgelegten Golden Globe Race teilnehmen, wo die Teilnehmer absurderweise wie in den Sechzigerjahren mit dem Sextant und ohne Kommunikation alleine und nonstop um die Welt zu segeln versuchen.
Auch wenn es in meinem Fall nie so weit geht, mein freiwilliger Verzicht auf die Kommunikation in Echtzeit wird oft als Affront wahrgenommen. Der Offshore Segler will nicht mit uns reden! Was für ein komischer Kauz ist er bloss geworden, der Hans! Zu lange auf See, Zeit dass er endlich zurück kommt. Sich sozial wieder integriert. Wie wenn meine Begegnungen mit dem Fremden nicht oftmals mindestens so intensiv und tiefgründig wäre.
Zeit zu haben ist ein wertvolles Gut. Ein Aspekt des Lebens, welchen viele indigenen Völker auf einsamen Inseln uns weit voraus haben. Kommunikation über weite Disdtanzen in Echtzeit verhindert oft die Reflexion. Die Selbstbesinnung. Die Achtsamkeit. Das Leben.
Rotes Meer, Ägypten, April 2023
Wo befindet sich die Tuvalu? hier: aqui
Hans, me ha encantado conoceros, hemos tenido pocos encuentros pero muy agradables.
Te Felicito por la página del TUVALU, está muy interesante y me gusta como expresas tus sensaciones en esta vida que tenemos.
Un fuerte abrazo para los dos, Jesús y Dori